Disziplin!

Heute hat für mich ein neues Zeitalter begonnen. Es ist 6:15 Uhr und ich sitze auf dem Balkon der Wohnung, in die meine Freundin Sarah und ich vor fast drei Wochen eingezogen sind. Neu ist aber in erster Linie nicht das Zuhause, sondern was ich gerade tue: Schreiben.

Immer dann, wenn ich mir schwer tue, einem Plan zu folgen, frage ich mich, woran das eigentlich liegt. Denn in den meisten Fällen hat man guten Grund dazu. Fällt es mir schwer morgens extra früher aufzustehen, zeigt das mir nur, dass ich mein Schlafbedürfnis nicht genung respektiert habe. Möchte ich mich lieber mit Freunden treffen und reden, anstatt alleine an meinem Buch zu arbeiten, zeigt es mir, wie wichtig ein soziales Netzwerk und persönliche Beziehungen für mein Wohlbefinden sind. Es gibt viele guten Gründe, alle Vorsätze über Bord zu werfen und einfach zu tun, worauf man Lust hast. Nach einer Weile wird das allerdings ziemlich frustrierend, weil man erkennt, das auch hinter jedem Vorhaben ein ernstzunehmender Bedürfnis steckt. Die oberste Maxime lautet also immer noch Achtsamkeit, auch wenn ich nun für mich erkannt habe, dass das nicht im Gegensatz zu Disziplin stehen muss.

Rückblickend war es für mein Ankommen in Berlin sehr hilfreich, dass ich mich nicht sofort in die Arbeit gestürzt habe. Für mein Buchprojekt war mein Verhalten allerdings eine Vollbremsung. Zusätzlich liegt in der Natur meines Vorhabens, dass man zwischendurch öfters alles in Frage stellt. Ich hatte wirklich nicht selten Momente, in denen ich das Projekt abbrechen wollte und mich ärgerte, dass ich so vielen Leuten davon erzählt habe. Nach wie vor denke ich viel darüber nach, ob es in dieser radikalen Form nötig ist. Muss ich wirklich alles verschenken, was ich habe? Reicht es nicht, sich seit einem halben Jahr darüber Gedanken zu machen? Diese Fragen gehen mir durch den Kopf und ich denke viel darüber nach, wie ich die Idee modifizieren kann, so dass sie radikal genug ist, um Aufmerksamkeit zu erregen, ohne mich in finanzielle Bedrängnis zu bringen. Aber genau darin liegt für mich auch der Reiz, denn ohne das Projekt hätte ich meine Sachen ja auch nicht verkauft. Ob mein Wahwah-Pedal seit über einem Jahr unbenutzt herumliegt oder ob ich es verschenke, macht für mich eigentlich keinen Unterschied. Trotzdem hadere ich nun seit Monaten in der Umsetzung und habe an wertvolleren Dingen bisher eigentlich nur mein Smartphone und ein Paar vivo barefoot-Schuhe verschenkt.

Als abgeschächte Variante habe ich mir überlegt, vorerst nur Dinge im Wert von unter hundert Euro zu verschenken und den Rest gegebenenfalls zu verkaufen. Das hat auch den rein praktischen Hintergrund, dass ich von den Einnahmen eine Weile leben und mich nur dem Schreiben widmen könnte, ohne etwas anderes arbeiten zu müssen. Außerdem möchte ich Dinge, die ich auf jeden Fall brauche, zu meiner Sicherheit zunächst noch behalten. Ich habe zu dem Zweck zwar die ganzen Leihsachen bekommen, da sich das Projekt nun aber schon länger hinzieht und ich so langsam ein schlechtes Gewissen bekomme, sollte ich nicht damit rechnen, die Dinge bis zum Abschluss behalten zu können. Mein Anzug, mein Werkzeugkoffer - all die Dinge, die mir niemand leihen konnte, behalte ich also vorerst. Vielleicht bin ich ja in ein paar Monaten bereit, auch sie zu verschenken.